Werbung im Deutschland der Nachkriegszeit / 1950er Jahre
GRAPHIK
© Text / Fotos: Jörg Bohn / VG Wort Wissenschaft - Erstveröffentlichung im Sammlermagazin "TRÖDLER", Heft 4 / 2009
Das 1948 erstmals erschienene Werbe-Fachblatt GRAPHIK gewährt nicht nur aufschlussreiche Einblicke in die Entwicklung der deutschen Werbewelt der Fünfziger Jahre und darüber hinaus, sondern entpuppt sich durch eine Vielzahl bebildeter Beiträge über damalige Konsumartikel zudem als informative Fundgrube für Marken- und Reklamesammler. Nicht zuletzt wegen seiner reizvollen, die graphischen Tendenzen der Zeit aufgreifenden Titelblätter, besitzt es zudem durchaus selbst das Zeug zum Sammelobjekt.
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Die frühen Jahrgänge der monatlichen “Zeitschrift für Gebrauchsgraphik und Werbung“ führen den heutigen Leser zurück in eine Zeit, in der Designer noch „Formgestalter“ waren oder gar bildhaft als „Modeschöpfer der Technik“ bezeichnet wurden und in der offensichtlich sogar bei Leuten vom Fach Erklärungsbedarf bestand, dass es sich bei einem „Slogan“ um einen Werbespruch handelt. Überhaupt hinkte das Deutschland der ersten Nachkriegsjahre in so ziemlich jeder Beziehung den internationalen Standards hinterher, also auch in der Werbung. Im Grunde genommen war Reklame für Konsumgüter bis dahin ohnehin weitestgehend überflüssig, da die Nachfrage die in vielen Bereichen nur mühsam anlaufende Fertigung bei weitem übertraf. „Tatsache ist, dass die zivile Produktion bereits in den letzten Vorkriegsjahren durch die ansteigende Umschaltung auf Rüstung zurückgedrängt wurde. In gleichem Maße wurde Deutschland mehr und mehr isoliert und von ausländischen Einflüssen abgeschnitten.“ analysiert GRAPHIK und kommt zu einem niederschmetternden Fazit: „Mit anderen Worten: Wir sind vor etwa zehn Jahren abgetreten und spielen nicht mehr mit.“
Da die deutsche Printmedienlandschaft sich erst langsam neu sortiert und somit die Zahl der zu diesem Zeitpunkt erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften noch recht überschaubar ist, fließt ein Großteil der Werbeetats in den Plakatbereich. Derart betreiben die meisten Firmen eine reine Präsenzwerbung ohne jegliche Werbeaussage, um die Bekanntheit ihrer Produkte aufrecht zu erhalten oder wieder in das Bewusstsein der Käufer zurückzuholen. Insgesamt musste zu dieser Zeit „soviel improvisiert werden, dass der Behelf zu einer Selbstverständlichkeit wurde. Katastrophaler Warenhunger machte auch die minderwertigste Ersatzware begehrenswert.“ Nun sollte man meinen, dass dies nicht gerade optimale Voraussetzungen für die Einführung einer Werbe-Fachpublikation sind, doch die Herausgeber von GRAPHIK hatten für den Start ihres Projektes im September 1948 den richtigen Zeitpunkt abgewartet: Mit der drei Monate zuvor durchgeführten Währungsreform wurde in den drei westlichen Besatzungszonen aus der Zwangswirtschaft eine Marktwirtschaft. War bis dahin durch die Kriegsfinanzierung und ihre Folgen immer mehr Geld in Umlauf gekommen, für das es jedoch immer weniger zu kaufen gab, sind nach der Initialzündung durch die Reform die Schaufenster wieder prall gefüllt, sodass in der Folge nicht mehr der Mangel an Waren bezeichnend ist, sondern der Mangel an Geld. „Heute wird wieder mit dem Pfennig gerechnet und der Erzeuger und der Händler werden ihren Käufer suchen müssen. Deshalb gilt es, sich um die Werbereife und die Werbewürdigkeit der eigenen Unternehmung zu bemühen“, fordert GRAPHIK als Reaktion auf die gewandelten wirtschaftlichen Verhältnisse und beschreibt damit zugleich seinen eigenen Aufgabenbereich. Da man in Deutschland also an einem Punkt angelangt ist, an dem Werbung wieder wichtig wird, freut sich denn auch der Verfasser des Geleitwortes zur ersten GRAPHIK- Ausgabe „über die Verwirklichung der besonders glücklichen verlegerischen Idee, nach vielen Jahren eines völligen Vakuums nun eine solche Zeitschrift zu schaffen.“ Gerade dieses Vakuum aber ist es, das bei der Sichtung des ersten, im Heidelberger Maiwald Verlag in einer Gesamtauflage von 10000 Exemplaren erschienenen Heftes noch allgegenwärtig wird, da aktuelle Schaffensproben deutscher Gebrauchsgraphiker nur eine untergeordnete Rolle spielen. So behandeln die vorhandenen Beiträge die Geschichte der Plakatkunst im Allgemeinen, stellen „Das Schweizer Verkehrsplakat“ vor oder informieren über „Industrial Design“ in den USA. Hierzulande jedoch dreht sich der Alltag der meisten Menschen noch um gänzlich andere Dinge als beispielsweise einen „mit seiner geschlossenen Form sehr ansprechenden amerikanischen Brotröster“. So lüftet der Artikel „Werbefachleute meistern die Not nach dem Zusammenbruch“ „das Geheimnis des Erfolges einer Lumpensammlung“. Dank einer groß angelegten Plakatkampagne und eingängiger Werbesprüche im zeittypischem Formulierungsstil wie „Der Reißwolf ist ein kluges Tier, er macht aus Lumpen Kleider dir“ wurde „wirksam denen geholfen, die buchstäblich nackt dastanden.“ Ergänzend erfährt der Leser, dass der Kreativität damaliger Plakatgestalter bereits durch die allgegenwärtige Rohstoffknappheit enge Fesseln auferlegt waren: „Der Papiermangel zwingt vielfach zu einer Formatbegrenzung, die gerade dem auf große Formen abgestellten Plakat höchst abträglich ist, und die verminderte Leistungsfähigkeit des Druckgewerbes erlaubt zumeist nur die Verwendung von wenigen Farben.“
Im Umgang miteinander geht es bei den deutschen Werbern offensichtlich recht familiär zu, denn verfasst wurde zitierter Artikel von „Onkel Grieb“, Inhaber einer Stuttgarter Agentur, dessen Schreibstil hält, was der Name verspricht. Sätze wie „Onkel Grieb, ich möchte einmal ein Pfundsplakat malen. Sorgen Sie dafür, dass wir einen Auftrag bekommen“, sind 50er-Jahre Sprachklang pur. Überhaupt durchzieht nahezu alle Beiträge im Heft trotz schwieriger Umstände ein optimistischer Grundton und sowohl zwischen den Zeilen als auch ganz direkt ist der Wille spürbar, „die Ärmel hochzukrempeln“, anstatt über zeitbedingte Unzulänglichkeiten zu lamentieren. Im Bereich der Schaufenstergestaltung empfindet GRAPHIK die vorherrschenden Gegebenheiten gar als großen Vorteil: „Je höher die menschlichen Fähigkeiten sind, desto eher lassen sich Mittel und Wege finden, aus dem so reichlich vorhandenen „Nichts“ etwas zu schaffen. Diese Notwendigkeit, dass der Mensch mit seinem Können vor der früheren Materialfülle den Vorang hat, ist eigentlich das beste Geschenk, welches die Not uns beschert hat.“
Maßgeblich bestimmt wird die Arbeit der deutschen Werbeschaffenden in dieser Zeit durch die Suche nach neuen Ausdrucksformen, denn die Werbesprache der nationalsozialistischen Zeit ist inzwischen natürlich tabu und die graphische Gestaltungsweise der 1930er nicht mehr zeitgemäß. Letztere ist jedoch immer noch in hohem Maße präsent und hemmt eine Weiterentwicklung, insbesondere auch in Hinsicht auf die internationale Konkurrenzfähigkeit. Aber es fällt schwer, die maßgeblichen Personen in den Firmen zu einem Umdenken in eine innovativere und zugleich künstlerisch qualtätsvollere Richtung zu bewegen: „So lange es geschehen kann, dass der verantwortliche Vertreter einer namhaften Markenartikelfirma mit ungewöhnlich hohem Werbe-Etat nach einem Hinweis auf die gestalterische Unzulänglichkeit seiner Werbemittel erklärt, er bestehe keine Veranlassung, neue Wege zu beschreiten, weil seine Firma damit groß geworden sei und solange eine solche Anschauung von anderen Auftraggebern geteilt wird, erkennt man in Deutschland nicht die verpflichtende Mission der angewandten Kunst, die in hohem Maße ununterbrochen und millionenfältig auf das Geschmacksempfinden und Formdenken der Menschen einwirkt.“
Eine Möglichkeit, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, sieht GRAPHIK beispielsweise im vermehrten Einsatz surrealistischer Formen, die bereits das Erscheinungsbild einer ungewöhnlichen, aber durchaus gelungenen zeitgenössischen Ford-Kampagne prägen und deren Vorzüge in Februarheft 1949 beschrieben werden: „Ein Anderes, ein Neues muss hinzutreten, etwas das Kraft genug besitzt, die übersättigten Nerven der Zeitgenossen noch in Schwingung, Spannung und Erregung zu bringen, etwas, das über dem Natürlichen liegt, ohne aufzuhören, Natur zu sein. Etwas, das durchaus wirklich, doch eine gesteigerte Wirklichkeit ist, da das gewohnte Wirkliche kaum noch Beachtung findet.“ Einige der im Heft abgebildeten Beispiele entsprechender Werbungen und insbesondere das surrealistische Titelbild dieser GRAPHIK-Ausgabe belegen jedoch unfreiwillig, dass man zu dieser Zeit dem internationalen Niveau wirklich noch ein beträchtliches Stück hinterherhinkt. Zudem sind bezüglich der verkaufsfördernden Wirkung derart avantgardistisch gestalteter Anzeigen nicht wenige zweifelnde Stimmen zu vernehmen: „Um aufzufallen, schmuggelt man in die Werbung Blickfänge aus Himmeln und Planeten ein, Visionen und Alpträume – Logik und Dimensionen wirbeln durcheinander…nur die beworbenen XYZ-Hosenspanner sind derart nicht an den Mann zu bringen.“ Auch die abstrakte Kunst „birgt für die Gebrauchsgraphik Möglichkeiten, weil ein bestimmter farbiger Fleck, eine bestimmte graphische Kurve ein viel intensiveres Leben haben kann, ja geradezu den Charakter des Zwingenden – Werbung! – besitzen kann, als reale Objekte je haben können.“ Durch diese anhaltende Suche nach neuen Formen ist in der zeitgenössischen Werbung folglich noch keine klare Linie auszumachen, anschaulich gespiegelt durch die GRAPHIK-Titelbilder, auf denen sich altbackenes munter mit „Picassoähnlichem“ abwechselt.
Großer Nachholbedarf besteht nicht nur in der graphischen Gestaltung, sondern auch im Design-Bereich, da die „formale Veredelung“ gerade während der Jahre deutscher Isolation in zunehmendem Maße für die Verkaufserfolge von Konsumgütern mitentscheidend wurde. So liefert ein mehrteiliger Artikel über „Industrielle Formgestaltung“ erst einmal „gründliche Orientierung über die Fortschritte des Auslandes, die uns infolge langjähriger ’Autarkie’ weitgehend verborgen geblieben waren.“ Doch statt in ein Wehklagen einzustimmen, dass Deutschland „den Anschluss an die Spitzengruppe verloren“ hat, macht sich auch hier wieder das bereits angesprochene Zuversichtsdenken breit, das zudem von einem gesunden Selbstbewusstsein ob der eigenen Fähigkeiten zeugt: „Mit einem Hinterherkeuchen oder „abkupfern“ bereits auf dem Markt befindlicher Muster ist uns keinesfalls gedient…Es gilt also, der internationalen Konkurrenz auf einem Abkürzungswege vorzulaufen, sie zu überspringen.“ Weitere Graphik-Artikel des Jahres 1949 haben ein „Neues Sehen in der Fotografie“ zum Thema, berichten über Plakatausstellungen in Düsseldorf und Wien, widmen sich Kosten sparenden zweifarbigen Plakaten, informieren über die zunehmende Wichtigkeit der Marktforschung oder geben eine Übersicht über die Werbegraphik in Amerika, England, Spanien und der Schweiz. Deutsche Arbeiten hingegen, die Gnade vor den Augen der GRAPHIK - Macher finden, sind immer noch Mangelware. Im Gegenteil wird aus einer beißenden Abhandlung des Kunstkritikers Bruno F. Werner zitiert, der feststellt, „dass die deutschen Plakate der Nachkriegszeit mit nur wenigen Ausnahmen unterhalb des Niveaus stünden, wo eine ernsthafte Kritik überhaupt erst einsetzten könne.“ Dass es aber immerhin überhaupt noch Graphiker gibt, „die mit Verantwortungsgefühl und Können bemüht sind, das Ansehen ihres Berufes wieder herzustellen“, belegen die Abbildungen einiger ausgesprochen gelungener zeitgenössischer Arbeiten. Bezeichnenderweise „handelt es sich dabei aber nicht um durchgeführte Aufträge, sondern um Ausstellungsplakate, die unter dem Motto „Morgen“ davon Kenntnis geben sollten, wie Gebrauchsgraphik der näheren Zukunft gestaltet werden könnte.“ Konkretisiert werden deutsche Unzulänglichkeiten unter anderem im Zusammenhang mit einer hoch gelobten amerikanischen Teppichwerbung, „die im echten Sinne originell, dabei klar durchdacht und von einem Humor durchleuchtet ist, der sich wohltuend von den Holzhammer- und HaHaHa-Scherzen bei uns unterscheidet, die den Betrachter eher melancholisch stimmen…Solche Anzeigen machen Freude und sind sicherlich wirkungsvoller und verkaufsfördernder als das alte abgeklapperte Lied von der 1a Prima Friedensqualität und den staunend billigen Preisen.“ Vorweggenommen sei, dass sich in dieser Hinsicht nicht allzu viel ändern wird. Die Humorlosigkeit deutscher Werbung stellt auch in den noch folgenden Jahrgängen der Fachzeitschrift ein regelmäßig wiederkehrendes Thema dar.
Insgesamt ist es um die Qualität deutscher Werbegraphik zum Ausklang der 1940er Jahre nach der Einschätzung von GRAPHIK und „ebenso aller ausländischer Beurteiler“ zumindest in der Breite ausgesprochen schlecht bestellt. So übersteigt beispielsweise bei einem Wettbewerb für die Titelblattgestaltung einer neuen Frauenzeitschrift „die überwältigende Menge absurder und unfähiger Kitschprodukte die Zahl der Entwürfe mit künstlerischem Können bei weitem“ und ein Auswahlgremium für den Entwurf eines Logos zur Frankfurter Messe hat sich mit „vielen Entwürfen vollständig dilettantischer Art“ zu beschäftigen.
Waren hinsichtlich deutscher Arbeiten bisher überwiegend Plakatkampagnen für Veranstaltungen, beispielsweise eine „Exportschau“ oder die „Industrie-Ausstellung Stuttgart“, Gegenstand der GRAPHIK-Beiträge, rückt nun immer öfter das äußere Erscheinungsbild von Markenartikeln in den Mittelpunkt des Interesses: „Wer in den letzten Monaten die Hinweise auf neu herausgebrachte Erzeugnisse verfolgt hat, dem wird nicht entgangen sein, dass man bereits wieder Wert auf „gute“ Verpackung legt.“ Dass zu dieser Zeit für viele Hersteller die Warenhülle scheinbar noch „ein notwendiges Übel“ ist und in einen Aufsatz über „Verkaufsfördernde Packungen in der Lebensmittel-Industrie“ auf deren Absatz fördernde Möglichkeiten hingewiesen werden muss, belegt die offensichtliche werbetechnische Unbedarftheit vieler Erzeuger in dieser Phase des Neuanfangs. Zusätzliche Bedeutung gewinnt die Verpackung „durch die Selbstbedienungsläden, die sich auch in Europa durchzusetzen beginnen. In diesem Zusammenhang erfährt der Leser vom ersten deutschen Geschäft dieser Art, „das in Augsburg eröffnet wurde. Hier hat ein fortschrittlicher Lebensmittel-Großhändler versucht, die amerikanische Praxis zu kopieren. Die Zukunft wird zeigen, ob dieses Verkaufssystem hierzulande mit Erfolg anzuwenden ist.“
Ab dem Januarheft des Jahres 1950 bekommt GRAPHIK nicht nur den etwas unförmigen, dafür aber bereits auf den ersten Blick treffend die zu behandelnden Gebiete umreißenden Titelzusatz „Konjunktur – Werbung - Formgebung“, sondern möchte auch praxisorientierter werden: „Wenn bisher in der Themenstellung unserer einzelnen Hefte die Gefahr beschlossen lag, dass jeweils nur Branchenkundige sich angesprochen fühlten“, will das Blatt in Zukunft mehr Gewicht auf die Darstellung allgemeiner wirtschaftlicher Zusammenhänge legen und „auf jenes Auf und Ab hinweisen, das aus dem wechselseitigen Einfluss von Konjunktur, Krise und Werbung entsteht.“ Ebenfalls im Wandel begriffen ist die zeitgenössische Werbung, in der mittlerweile die reinen Repräsentations- von Aufklärungsanzeigen abgelöst wurden. Letztere jedoch werden von GRAPHIK höchst kritisch beurteilt: „’Endlich ist X. wieder da’, heißt es. ’Ein lang entbehrtes Erzeugnis kommt wieder.’ ’Eine Hausfrau sagt’s der anderen: Es gibt wieder Z.’ ’Nicht zu verwechseln mit Y.’ – Die Aufmachung, der Anzeigen, die fetten Markennamen und fetten Schriften – alles das ist nur ein heiseres Schreien.“ Was hingegen fehlt, ist eine „sachliche, ruhige Bedarfsweckung“, die jedoch nicht nach traditionellen Mustern gestrickt werden darf, sondern die allgemeine Stimmungslage im Deutschland der Nachkriegsjahre berücksichtigen muss. „Die Verhältnisse sind unruhig, unsicher, man weiß nicht, was kommt und wie es kommt. Der Durchschnittsverbraucher von heute hat wenig Geld und viele Sorgen. Er ist einerseits leichtsinnig und unbeständig und andererseits misstrauisch…Wir brauchen eine Werbung, die konjunkturanregend wirkt, ohne reißerisch zu sein.“ Dass nicht die Waren allein den Verbraucher interessieren, ist eine altbekannte aber zu dieser Zeit vernachlässigte Erkenntnis. „Er will wissen, wie er ohne großen Mehraufwand „mitmachen“ kann, wie er besser wohnt, sich schöner anzieht, wie er mehr leistet, länger jung bleibt, Krankheiten vermeidet und wo seine beruflichen Chancen liegen. Das haben viele große Unternehmen in ihrer Werbung ganz vergessen.“
Aber auch aus anderen Gründen tun sich einige der ehemaligen Branchengrößen bei ihren Bemühungen um die dauerhafte Rückgewinnung früherer Marktanteile recht schwer. Zwar kauften die Verbraucher die wieder erschienenen Markenprodukte in der Zeit nach der Währungsreform „wie die Katze im Sack“, doch während deren kriegsbedingter Abwesenheit hatten es auch „verschiedene anonyme und Pseudo-Markenartikel mit recht annehmbarer Qualität“ geschafft, sich auf dem Markt zu positionieren, denen im Grunde lediglich der im Gedächtnis der Konsumenten fest verankerte Name fehlte. „Die Verbraucherschaft, auf die gewaltige Preisdifferenz bei nicht ebenso großen Qualitätsunterschieden gestoßen, verfolgt mit verständlichem Argwohn die großflächige teure Anzeigen- und Plakatwerbung. Und schon tauchen Gedanken auf, diese offensichtliche Preisdifferenz sei lediglich eine Folge des höheren Werbeaufwandes.“ Aber auch Importwaren stellen mittlerweile für die ehemals unangefochtenen deutschen Marken-Platzhirsche eine große Konkurrenz dar. Den „Ausweg aus der Klemme“ erspäht GRAPHIK weitsichtig nicht etwa in der Absenkung des Preisniveaus der Markenartikel, sondern, im Gegenteil, in der Produktion „neuer, höherwertiger Erzeugnisse“ mit „guten, eigenartigen und kultivierten Packungen, deren Herstellung einen Kapitalaufwand verlangt, den sich die kleinen und mittleren Fabrikanten nicht erlauben können“ und die „den ausländischen, insbesondere den amerikanischen Erzeugnissen auf diesem Gebiete die Stirn bieten können.“ Doch auch zu Beginn der 50er ist klar, „dass sich die Kaufkraft des Verbrauchers nicht vermehrt entsprechend den neuen Möglichkeiten, die ihm der Markt bietet.“ Und noch mehr Grundsätzliches aus dem Werbe-ABC gibt es auf allgemeinverständlich-naive und im Nachhinein durchaus amüsant zu nennende Art und Weise zu erfahren: „Die Werbung unternimmt höchst intensive Bemühungen, die Kaufkraft auf bestimmte Objekte zu lenken, die den Reiz des Neuen bieten. Andererseits kämpft sie darum, dass der Konsument durchaus bei dem Bewährten bleiben soll. Da keine der einander widersprechenden Werbungsabsichten ohne jeden Erfolg bleiben kann, muss sich die Kaufkraft irgendwann verzetteln…“.
Über solch theoretische Betrachtungen hinaus erfährt der historisch Interessierte aber auch so manches über reale Befindlichkeiten des Alltagslebens der 50er Jahre und muss nicht selten überrascht feststellen, dass „alles schon einmal da gewesen ist“. Denn obwohl es für viele noch vorrangig um die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse geht, spielen offenbar bereits wieder gesellschaftlich motivierte Konsumzwänge eine große Rolle. Im Zusammenhang mit der zuvor angesprochenen Tatsache, dass der Verbraucher eine D-Mark nicht zweimal ausgeben kann, wird als Beispiel die zunehmende Beliebtheit von Speiseeis angeführt: „Wenn Schulkinder sich wenigstens ein paar Mal in der Woche eine Portion oder doch Eis am Stecken kaufen, so wird das auf Kosten des Haushaltsgeldes der Mutter gehen, die ihrem Kinde – auch aus Gründen der sozialen Geltung – nicht versagen will, was andere Mütter den ihren gewähren…Die Neigung zum Ver- und Gebrauch vor den Augen aller hat sich verstärkt, und es ist vorteilhaft für die praktische Seite der Werbung, davon zu wissen.“
Zu den weiteren GRAPHIK-Themen des Jahres 1950 zählen „Autowerbung im Ausland“, Werbung von Mercedes Benz („Autos sehen Dich an“), Esso- und Shell-Anzeigen („Eine Weltindustrie wirbt“), ein Plakatwettbewerb zum Thema „Der Marshallplan und Du“ oder „Werbung für intime Kleidung“. Das Bemühen der Zeitschriftenmacher, auf den Titeln Beispiele moderner künstlerischer Ausdrucksformen abzubilden, zieht, nicht zum ersten Mal, harsche Kritik der Leserschaft nach sich: „Ich habe mir das Heft 8/50 mit der abgeschnittenen Giraffe und der mikroskopischen Darstellung ihrer Exkremente angesehen…Die Titelseite zeigt mir den Weg, auf dem sich viele unserer Graphiker oder deren Auftraggeber befinden – die Graphik zum Selbstzweck werden zu lassen.“
Durchgängig ist in GRAPHIK ein geradezu missionarischer Eifer erkennbar, deutsche Firmen von der Notwendigkeit der Formgestaltung zu überzeugen. Einmal schildert ein amerikanischer Designer seine Sicht der Dinge: Wir waren „erstaunt über die rastlosen Bemühungen der deutschen Industrie, wieder ein normales Geschäftsleben aufzubauen. Ebenso erstaunt waren wir jedoch, feststellen zu müssen, dass der Beruf des Industrial Designer kaum bekannt ist“ und somit „ die Bedeutung des modernen Design und Styling für die Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten bisher verkannt hat.“ Im Rahmen einer deutschen Industrieschau in New York wurde „offensichtlich, dass die ausgestellten Erzeugnisse bei aller funktionellen Exaktheit und sorgfältigen Ausführung für amerikanische Augen einen fast musealen Charakter hatten.“
Immerhin aber sind erste Ansätze erkennbar, den Warenverpackungen die gebührende Bedeutung zuzumessen. Ein entsprechender, durch Wortwahl und Tonfall sehr anschaulich das zeitgenössische Frauenbild dokumentierender GRAPHIK-Beitrag beleuchtet „Das Kleid der Ware“ im Hinblick auf eine Käuferin: „In einigermaßen normalen Zeiten ist das Einkaufen für die Hausfrau ein recht reizvolles Unternehmen, das sie in angenehme Erregung versetzt und über eine über die materielle Bedarfsbefriedigung hinausgehende Art von Hochstimmung schafft. Prüfen, vergleichen, aus der Fülle wählen, im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage sich behaupten – das sind die Reize des Einkaufens, denen die Frau zugegebenermaßen leichter zugänglicher ist als der Mann. Auf dieser Schwäche, die aber kein Nachteil zu sein braucht, baut sich ein großer Teil der gesamten Verbrauchsgüterwerbung auf…Mit großer Freude sieht die Frau nun die Phantasie der Werbefachleute, jeder Ware, auch der bescheidensten, wieder ein Kleid zu geben“. Ein Verpackungs-Renner sind zu dieser Zeit bunt bedruckte Blechdosen, die nach dem Verbrauch des Inhalts im Haushalt als Vorratsgefäße einer weiteren Verwendung zugeführt werden können. Dass der Verkaufserfolg solcher Behälter im Laufe der Jahre überwältigend gewesen sein muss, belegt die Häufigkeit, mit der die als Beispiel abgebildete Bahlsen Salzletten Blechdose heutzutage noch auf Werbebörsen und Trödelmärkten anzutreffen ist. Trotz einiger gelungener Ausnahmen bleibt jedoch festzustellen, dass es insbesondere im Exportbereich „noch große Defizite gibt, weil die Versandverpackung den Versandanforderungen nicht genügt oder in ihrer Ausführung den gesteigerten Kaufansprüchen und Verbrauchsgewohnheiten der Empfänger nicht entspricht.“
Weitere in den Heften des Jahres 1951 zu entdeckende Beiträge dokumentieren die aufwändigen Aktivitäten von Traditionsmarken wie Persil und Sanella, ihre kriegsbedingt verlorenen Marktanteile wieder zurückzuerobern, beschäftigen sich mit olivetti-Schreibmaschinen und deren „Werbung aus dem Geist der Technik“, beleuchten „die Werbeaufgaben der chemischen Industrie“ oder portraitierten mit Gerd Grimm einen der bekanntesten zeitgenössischen deutschen Graphiker. In Heft 8/1952 stehen eine Kampagne der Rumfirma Pott und somit der zu diesem Zweck von Herbert Leupin kreierte „Pott-Neger“ im Mittelpunkt. Inwieweit die Bezeichnung „Neger“ in den 50ern noch unbefangen-naiv verwendet wurde oder im Nachhinein auch für die damalige Zeit schon als „politisch unkorrekt“ eingestuft werden muss, sei an diesem Ort dahingestellt. Fakt ist, dass die Schöpfung des auch für die Pril-Ente verantwortlichen Schweizer Graphikers Leupin den Nerv der Zeit trifft und den in Flensburg verschnittenen Jamaika-Rum zum Marktführer macht. Bis weit in die 60er Jahre prägt diese Figur die Werbeaktivitäten der Firma, die „begriffen hat, wie und wo die Werbung nutzbringend angesetzt werden kann“ und den Mut besitzt „zur Originalität einer graphischen Gestaltung, die trotz ihrer künstlerischen Individualität werbewirksam ist“ und es auf diese Weise schafft, dem Produkt neue Käuferschichten zu erschließen.
Doch alles in allem hat sich in der Werbung nach GRAPHIK-Einschätzung bezüglich deren Qualität noch wenig zum besseren gewendet. Darüber hinaus ist nun auch ihre Quantität insbesondere im Bereich der Plakat-Außenwerbung offenbar immer mehr Menschen ein Dorn im Auge. So wollen „Verfechter des Schutzes landschaftlicher Schönheit“ der damals nicht reglementierten und daher ausufernden Plakatierung einen juristischen Riegel vorschieben. Zu beobachten ist gleichzeitig „eine wachsende Werbemüdigkeit, ja sogar eine Aversion gegen gewissen Ausprägungen des Werbewillens, die man nicht zu leicht nehmen sollte, denn die Kosten hätten am Ende die Werbetreibenden zu tragen…Gewiss, das große Publikum will nicht im Stile Picassos angesprochen sein – aber es spürt sehr wohl den Unterschied zwischen einem gekonnten Entwurf und krassem Dilettantismus, und es will vor allem nicht gelangweilt und angeödet werden. Lieber etwas weniger und dafür so werben, dass jedes Plakat ’sitzt’.“
Eine immer größere Bedeutung wird in den frühen 50er Jahren hingegen der Werbung in den mittlerweile wieder reichlich vorhandenen und sogar „gegenüber 1939 in erstaunlicher Zahl und Auflage gestiegenen“ Tageszeitungen und Unterhaltungsblättern zuteil, was seine Ursachen nicht zuletzt in einem von den Werbemachern beobachteten „Wandel der Lebensgewohnheiten“ hat: „Das Streben nach Motorisierung ergreift immer breitere Bevölkerungsschichten. An die Stelle des Fahrrades tritt immer mehr das Moped und lässt damit die Masse der mit steigendem Tempo durch die Straßen eilenden Fahrzeuge laufend wachsen.“ Auch die stetig steigenden Anforderungen bei der Arbeit haben „eine zunehmende Hast der Menschen zur Folge, die das Auge für sämtliche Eindrücke sperren, die für sein Vorwärtskommen keine Bedeutung haben.“ Folglich haben es Werbemittel wie Schaufenster immer schwerer, „die Aufmerksamkeit nicht unmittelbar interessierter Straßenpassanten zu finden. Wohl am stärksten betroffen ist jedoch das Plakat, das überwiegend vom Spaziergänger lebt.“ So werden also die Printmedien regelrecht wiederentdeckt als ein „Massenwerbemittel universellster Art“, „mit dem auch die zeitknappe Bevölkerung heute wie schon immer am sichersten beeindruckt werden kann…Ohne seine Zeitung und Illustrierte will der moderne Mensch nicht mehr sein.“ Laut statistischen Erhebungen lesen 1953 46% der erwachsenen Bundesbürger regelmäßig eine Illustrierte und sogar 83% eine Tageszeitung. Mussten seinerzeit Anzeigen in letztgenannten „stets den Charakter der Information tragen, da der minderwertige Schwarzdruck die suggestive Wirkung künstlerischer Graphik“ nicht gestattet, boten Illustrierte mehr Möglichkeiten, zumal wenn schon die technischen Möglichkeiten vorhanden waren, bereits mehrfarbig und nicht nur, wie in den Nachkriegsjahren überwiegender Standart, lediglich zweifarbig zu drucken. GRAPHIK-Ratschläge aus dem kleinen Werbe-Einmaleins wie „Anzeigen in diesem Rahmen sollten dem Betrachter wirklich etwas zum Schauen geben, das zugleich modern und im landläufigen Sinn gekonnt erscheint“ oder „Große Möglichkeiten hat in der Illustrierten-Anzeige natürlich das Foto. Allein schon die Portraits schöner Frauen und namhafter Persönlichkeiten üben eine erstaunliche Anziehungskraft aus“ zeigen, wie einfach doch das Machen von Werbung sein kann... Zu guter Letzt wird noch ein Ausblick in die nahe Zukunft gewagt: „Eine neue Macht, die zu gewissen Änderungen der Lebensgewohnheiten führen kann, ist das in den nächsten Jahren auch bei uns einsetzende Fernsehen.“…
Aber nicht nur die Werbung selbst ändert sich, sondern auch die von ihr beworbenen Objekte. Da bei vielen Menschen nach dem Mangel der Nachkriegsjahre bereits wieder ein gewisser Grundbedarf gedeckt ist, richten sich die Wünsche der westdeutschen Konsumenten nicht länger auf „Entbehrtes, sondern auf Begehrtes“. Und wo noch keine Wünsche vorhanden sind, müssen sie eben durch Werbung geweckt werden. Die Voraussetzungen sind bestens, da die von den Werbern anvisierte zahlungskräftige Zielgruppe im Vergleich zu Vorkriegszeiten sogar gewachsen ist. „An die Stelle des einstigen, zahlenmäßig relativ kleinen Mittelstandes ist eine neue, ungleich breitere Zwischenschicht getreten, zu der in großem Umfang Arbeiterhaushalte gehören, die durch gestiegene Reallöhne und mehrere Verdiener in einer Familie heute eine erhebliche Kaufkraft haben.“ Dass sie letztere auch einsetzen, garantiert „der verständliche Wunsch, die jetzt gewonnene soziale Stellung auch äußerlich durch einen gehobenen Lebensstandart und die Anschaffung hochwertiger Gebrauchsgüter zu dokumentieren.“ So berichtet GRAPHIK, das 1953 auf den Untertitel „Konjunktur“ verzichtet, unter anderem über Autowerbung von VW, eine Kampagne für französisches Parfum und auch der Genuss von Sekt ist „längst nicht mehr nur das Privileg exklusiver Gesellschaftskreise“.
Auch das ehemalige Stiefkind „Design“ hat sich mittlerweile gemausert. Nicht zuletzt die Impulse des 1952 gegründeten „Darmstädter Institut für neue technische Form“ sind für die GRAPHIK-Redakteure dafür verantwortlich, dass auf der Frankfurter Herbstmesse 1954 etliche gelungene „Synthesen von Zweckmäßigkeit, Funktionsgerechtigkeit und Schönheit“ auszumachen sind, wie zum Beispiel die Küchenmaschine Multimix der Firma Braun: „Universale Verwendbarkeit plus Kraft- und Zeitersparnis = schöne Form – gewiss eine kühne Gleichung, der aber die zeitgenössischen Formgestalter für Küchengeräte immer näher kommen.“ Die Karosserie des VW Karmann-Ghia beweist „Mut zur guten Form“ und „die Mauser-Werke schaffen einen neuen Firmenstil durch Abkehr von der Konvention.“ Die „neue Form“ erreicht elektrische Heißwassergeräte, Außenbordmotoren, Essbestecke, Espressomaschinen, Registrierkassen, Küchenwaagen und auch Nähmaschinen werden „zeitgemäß geformt“. All dies trägt, neben dem immer noch vorhandenen guten Ruf des „Made in Germany“ , mit dazu bei, dass durch die „Exportwelle“ Geld ins Land gespült wird und ein Großteil der Deutschen kaum zehn Jahre nach den eingangs geschilderten Lumpensammlungen im Wirtschaftswunder angelangt ist.
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