Möbel / Design / Wohnen / Innenarchitektur 70er Jahre
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Angelika-Möbel - "für verwöhnte Liebhaber"
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Was genau den Zeitgeist der 70er Jahre ausmachte und was eigentlich charakteristisch für das Innenleben deutscher Wohnungen der 70er war, ist eine Frage, die gewiss nicht allein mit Nennung der „üblichen Verdächtigen“ befriedigend beantwortet werden kann. Denn ebenso wenig, wie sich beispielsweise der Einrichtungsstil der Fünfziger Jahre auf die im Nachhinein als so prägend empfundenen Nierentische, Tütenlampen und Pastellfarben reduzieren lässt, waren für die Siebziger nur die heutzutage in diesem Zusammenhang so häufig zitierten Lavalampen, Flokatis, Pril-Blumen oder Designobjekte eines Verner Panton bezeichnend.
Den besten Weg, sich dem Thema zu nähern, bietet, entsprechendes Alter vorausgesetzt, die eigene Erinnerung in Verbindung mit einem Blick ins Familienalbum, andere Möglichkeiten erschließen sich durch das Sichten zeitgenössischer Zeitschriften und Möbelkataloge. Deren Studium vermittelt recht schnell die Erkenntnis, dass vieles dessen, was uns heute in punkto Wohndesign als „70er-typisch“ erscheint, seinen Ursprung bereits in den 60er Jahren hat, in deren Verlauf umwälzende Veränderungen nach Innen wie Außen zu verzeichnen waren. Der Vietnam-Krieg und die sich daraus entwickelnden Proteste, die Hippie-Bewegung mit ihrer ursprünglichen Suche nach einer humaneren und friedlicheren Lebensform, sexuelle Revolution und antiautoritäre Gesinnung führten in vielen Köpfen vor allem der nachwachsenden Generation zu einer Abkehr von den Ansichten ihrer Mütter und Väter und damit auch von deren Lebensumständen. In der Bundesrepublik sorgten zudem die Aktionen der Studentenbewegung und deren eskalierende Folgen für einen klaren Trennungsstrich mit den elterlichen Idealen der Wirtschaftswunderjahre. Auf der anderen Seite wiederum ist eine regelrechte Fortschrittseuphorie spürbar, die durch spektakuläre Ereignisse wie den Start des Farbfernsehens oder die erste Herzverpflanzung geschürt wird und 1969 mit dem ersten Menschen auf dem Mond ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Als ebenso vielschichtig wie die gesellschaftlichen Strömungen offenbaren sich folglich auch die Lebens- und Wohnumstände, wobei das Spektrum von einer improvisierten Behausung mit Apfelsinenkisten und auf dem Fußboden verteilten Matratzen bis hin zu einer bis ins letzte Detail durchgeplanten Designerwohnung reicht.
Konzentriert sich der Interessierte auf seiner Suche nach der Wohnkultur der 70er zunächst auf entsprechende Fachpublikationen, tun sich ihm zwei regelrechte Parallelwelten auf.
Da gilt es zum einen das in den Katalogen der Waren- und Möbelhäuser abgebildete Universum des „Publikumsgeschmacks“ zu erkunden, zum anderen entführen ihn diverse exklusive Bildbände auf einen elitären Planeten, auf dem ausschließlich bekannte Designer zu leben scheinen und wo beispielsweise „als Plastiken konzipierte, wie Wesen mit Eigenleben wirkende Möbel rhythmisch den Raum gliedern“ oder „dickflorige Teppiche auf kunstvoll gefügtem Parkettboden Inseln für ein ruhiges Zwiegespräch bilden“. Was es zu dieser Zeit bedeutet, auf hohem Niveau „modern zu wohnen“, versuchen Bücher wie das im Jahr der Mondlandung erschienene „Wohnen heute“ zu hinterfragen: „Mancher meint, es sei mit ein paar avantgardistischen Möbeln getan oder mit drei verrückt arrangierten Plakaten an der Wand. Für den anderen ist der Begriff modernen Wohnens unwillkürlich mit einem kühlen Anhauch von Kahlheit und kühlem Funktionalismus verbunden, den er ablehnt. Der dritte wiederum führt die Perfektion technischer Apparate oder innenarchitektonischer Gags ins Feld, die er in seine Wohnung eingebaut hat.“ Fotografisch dokumentiert wird dies und anderes in den einschlägigen Veröffentlichungen normalerweise mit Bildern großzügig dimensionierter und lichtdurchfluteter Häuser von Architekten, Künstlern oder Fabrikanten, in denen es vor heute gesuchten Designklassikern nur so wimmelt. Aber obwohl in Büchern dieser Art Individualität Programm ist und sie sich daher eigentlich denkbar schlecht dafür eignen, herauszufinden, wie es zu dieser Zeit in der bundesdeutschen Durchschnittswohnung ausgesehen haben mag, findet sich dennoch das ein oder andere Bindeglied zur Behausung von Otto Normalverbraucher. So sind grundsätzliche Trendbeschreibungen wie „Das Leben zwischen Möbeln, die man fertig sortiert kaufte und die fast zwangsläufig zu einem gleichförmigen Grundschema der Aufstellung führten, ist vorbei. Das schöne Einzelstück und leicht zu ergänzende Anbaumöbel haben weitestgehend die geschlossene Zimmereinrichtung verdrängt“ ebenso in den Katalogen der „profanen“ Möbelhäuser zu finden. Beim durchblättern letzterer kommt man dem Charakteristischen der 70er dann schon näher, da sich beispielsweise im Jahr 1970 innerhalb der abgebildeten Wohnzimmer recht bald einige stetig wiederkehrende Elemente ausmachen lassen: variable Sitzelemente, die je nach räumlichen Gegebenheiten zu regelrechten Sitzlandschaften erweitert werden können, Drehstühle und –sessel auf Kreuzgestellen, weiterhin raumhohe Schrankwände, großgemusterte farbige Tapeten oder Vorhangstoffe sowie nicht zuletzt die zu dieser Zeit „hochmodernen Stereoanlagen“, die mitunter eine entscheidende Bedeutung für die Raumgestaltung einnehmen, da die Aufstellung der Möbel nicht selten in erster Linie auf „größtmöglichen Hörgenuss“ ausgerichtet ist.
Empfohlen sei dem Interessierten in diesem Zusammenhang die antiquarische Suche nach der zwischen 1960 und 1980 im zwei- Jahres- Rhythmus von der Arbeitsgemeinschaft Wohnzirkel Detmold herausgegebenen „Wohnfibel“ (später „Farbige Wohnfibel“), die nicht nur im Bild höchst anschaulich Aufschluss über Trends und Entwicklungen dieser Epoche gibt, sondern das zeitgenössischen Lebensgefühl auch mit entsprechenden Texten nachvollziehen lässt: „Es gab Zeiten, da standen Sofa, Sessel und Tisch vom Tag der Anschaffung bis zum Lebensende des Besitzers unverrückbar an derselben Stelle im Wohnraum. Das lag nicht nur am Gewicht der Möbel, sondern vielmehr an der Wohnauffassung dieser Leute. Man war der Meinung, Wohnen sei eine „ernste“ Sache. Heute haben viele Menschen eine andere Auffassung vom Leben: Vom statischen Denken gelangen wir mehr und mehr zum Mobilen. Der statische Wohnraum verwandelt sich in einen Mobilen.“ Gelernt haben die etablierten Möbelmacher dabei „von der Subkultur. Denn es war die Popgeneration der sechziger Jahre, die den Anfang machte mit dem freien, flexiblen, ungezwungenen Wohnen.“ Und nachdem arrivierte Designer diese Art zu wohnen salonfähig gemacht hatten, war „die Sitzlandschaft plötzlich vom Fluch und Schimpf der Kommunardenlagerstatt befreit“, ergänzt in diesem Zusammenhang Roland Gööck in Das große praktische Einrichtungsbuch und hat sogar noch einen praktischen Tipp parat: „Wenn Sie demnächst eingeladen werden, wählen Sie Ihre Socken mit Bedacht. Ihre Gastgeber könnten vielleicht eine Sitzlandschaft besitzen, die man nur mit Strümpfen benutzen darf.“
Eine weitere ergiebige Quelle zum Thema Einrichtung der 70er-Jahre stellen die entsprechenden Ausgaben der Zeitschrift „Schöner Wohnen“ dar, in denen zu dieser Zeit ebenfalls regelmäßig „die neuesten Anbausessel“ oder „farbenfrohe Sitzlandschaften zu entdecken sind. Über die Vorteile von Schrankwänden wird man wiederum in der Wohnfibel informiert: Im Bezug auf „die perfekte Endlos-Schrankwand“ hat sich „die Möbelentwicklung in den letzten Jahren selbst übertroffen…Aus dem herkömmlichen Schrank im Schlafzimmer, im Wohnzimmer – oder wo auch sonst wurde die nahtlos ausgebaute Schrankwand von Wand zu Wand, vom Fußboden bis zur Zimmerdecke. Kein Zentimeter Platz wird verschenkt.“ (...)
Orange/braun ist eine typische Farbkombination in den zeitgenössischen Möbelkatalogen. Dort bietet sich dem Betrachter zusätzlich eine unüberschaubare Zahl von Abstufungen, die entsprechenden Farbtöne der Zeit heißen mehr oder weniger fantasievoll havanna, india, terra, rodeo, bernstein, karamel, gobi, licht- und zigarrenbraun oder cognac beziehungsweise mais, mandarin, zitronen- und dottergelb. Ebenfalls sehr beliebt ist die Farbe Grün in jeder Spielart. So wird im Wohnbereich wald- und jagdgrün, olive oder amazonas bevorzugt, der „flauschige fußfreundliche Teppichboden“ im Flur präsentiert sich in laub-, blatt- oder lindgrün, die Fronten der Küche glänzen in apfelgrün, während sich der WC-Sitz mit seinem moosgrün farblich dezent zurückhält. Als ausgesprochen zeittypisch erweisen sich auch die von den jeweiligen Herstellern erdachten Bezeichnungen der Möbel: Neben dem Stuhlprogramm „Piccadilly“, der Anbaugarderobe „Life in“ und dem Schirmständer „Joy“ gibt es beispielsweise den Vorhangstoff „Butterfly“, das Beistellmöbel „Combi-Boy“ oder die Kosmetik-Bar „Lady-Boy“ zu entdecken.
Ein absolutes Muss der frühen 70er sind Stereo-Anlagen, die, neben Farbfernsehern, den neuesten Stand moderner Technik in der Unterhaltungselektronik darstellen. „Wenn Sie eine Neu- oder Umgestaltung Ihrer Räume planen, dann sollten Sie nicht auf den Stereoklang verzichten, denn Stereo im Ohr ist wie Farbe im Fernsehen.“ So spielen dann auch die bequeme Erreichbarkeit des Steuergerätes sowie die richtigen Abstände der beiden Boxen zueinander und zum Hörer eine gewichtige, bisweilen sogar die entscheidende Rolle bei der Einrichtungsplanung, damit einem ungetrübten Hörvergnügen „wie im Konzertsaal“ nichts mehr im Wege steht. Offensichtlich unverzichtbarer Bestandteil einer Anlage ist das Spulen-Tonbandgerät, das in nahezu sämtlichen Möbelkatalogen, abgesehen vom Bad, in wirklich jedem Zimmer zu entdecken ist und sich den vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten erfreut. Im Wohnzimmer dient es der Wiedergabe „erlesener Musik“ oder der Unterhaltung „netter Gäste, mit denen man gemeinsame Erinnerungen aufnehmen und anschließend wiedergeben kann“, in einer „vom Wohnraum abgeschirmten gemütlichen Unterhaltungsecke“ gibt es der Hausfrau Gelegenheit, sich das „je nach Stimmung passende Musikstück“ auszuwählen und im Arbeitszimmer ist es „zur Aufnahme wichtiger Gesprächsdetails“ einsatzbereit. Komplettiert wird die Stereoanlage schließlich durch einen Plattenspieler. Dabei verbirgt sich das in der Regel dazugehörige „Schallplattenarchiv hinter einer Klappe der Schrankwand, wo rund 280 Schallplatten untergebracht werden können. Ob Janis Joplin, The Fifth Dimension, Beethoven, Rudolf Schock, die Wiener Sängerknaben oder die Beatles – senkrecht stehend in einer Platten-Stellage fühlen sich alle wohl.“ (...)
Zusammenfassend bleibt der Eindruck haften, dass die – offensichtlich vor allem von später Geborenen - im Nachhinein zur „Panton-Ära“ verklärten 70er von weiten Kreisen der Deutschen in einem doch eher konventionellem Möbelumfeld erlebt wurden. Die Experimentierfreude in Bezug auf Form und Farbe beschränkte sich vornehmlich auf die Ausstattung der Räumlichkeiten mit großgemusterten, bunten, floral oder grafisch gestalteten Tapeten und Vorhängen, darüber hinausgehend blieben Flowerpower und Popkultur zumeist auf Jugendzimmer und Partykeller beschränkt.
(Auszüge aus dem Aufsatz "Puppenstuben der 70er Jahre" im Sammlermagazin TRÖDLER, Heft 7/2008 - Text: Jörg Bohn / VG Wort Wissenschaft)
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"einrichten und sich wohlfühlen" - "Neue Wohnideen 1970/1971", Möbelkatalog
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| | stucki - "Möbel aus Plastik"
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Kaufhof - "Raumgestaltung mit schönen Stoffen", Prospekt (1972)
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| | Wortmann Kleinmöbel - aus dem Hause Grachten |
"Das neue Statussymbol >>Wohnen<<"
"In unserer Wohlstandsgesellschaft kommt dem repräsentativen, wertbeständigen und individuellen Möbel verständlicherweise eine immer größere Bedeutung zu. Nirgendwo drückt sich schon heute das Standesbewußtsein, der gesellschaftliche Rang eines Zeitgenossen klarer aus, als durch sein Zuhause. Der pferdestärkenstrotzende Wagen oder die strapaziöse Urlaubsreise in ferne Gestade vermögen das Können und den wirtschaftlichen Wohlstand eines Bürgers nur noch unvollkommen widerzuspiegeln. hülsta hat diesen Trend vor vielen jahren ganz bewußt durch die Produktion individueller, vielseitiger und hochwertiger Markenmöbel eingeleitet." (aus einem 70er-Jahre-Katalog der Firma hülsta)
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Lampen der 70er Jahre
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